Wie verhält es sich mit der Verkehrssicherungspflicht?

Behörden sitzen mit im Boot.

von Ltd. Regierungsdirektor R. Hummel, Tübingen 

 

Verkehrssicherungspflicht

Neben den allgemeinen Gefahren und Risiken, die die Teilnahme am Straßenverkehr mit sich bringt, bergen Bauarbeiten im Straßenraum zusätzlicher Gefahren, die besondere Beachtung verdienen. Nach wie vor haben Unfälle im Bereich von Arbeitsstellen an Straßen einen nicht unerheblichen Anteil an der Gesamtzahl der Verkehrsunfälle. Gefährdet sind dabei nicht nur die Verkehrsteilnehmer, sondern auch die auf der Baustelle Beschäftigten. Letztere sind dabei nicht nur den Gefahren von außen, d.h. vom Straßenverkehr, ausgesetzt, ihnen drohen auch Risiken von innen, d.h. von ihrer Baustelle, etwa aus dem Umgang mit den Baustoffen und den -geräten.

Da muss es eigentlich verwundern, dass die Sicherungsmaßnahmen von den Verantwortlichen, z.T. allerdings auch von den Betroffenen selbst, nicht so ernst genommen werden, wie dies an sich selbstverständlich sein sollte. Wer mit offenen Augen vor allem innerörtliche Baustellen auf ihre sachgerechte Absicherung hin prüft, der wird häufig erhebliche Mängel feststellen können.

Am Fehlen von Rechtvorschriften kann es nicht liegen; hiervon gibt es genügend. Sie reichen von zivilrechtlichen Haftungsvorschriften über öffentlich-rechtliche Ordnungsvorschriften bis hin zu Bußgeld- und Strafbestimmungen. Hinzu kommen unzählige technische Regelwerke, DIN- Vorschriften, Verwaltungsvorschriften u.ä. Einen hervorgehobenen Platz nehmen fiir die Praxis dabei die Richtlinien für die Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen (RSA) und die Zusätzlichen technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für die Sicherungsarbeiten an Arbeitsstellen an Straßen (ZTV – SA 97) ein, die der Bundesverkehrsminister in Abstimmung mit den zuständigen Landesministerien herausgegeben hat.

 

Vielleicht ist es aber gerade das Vorhandensein so vieler und vielseitiger Vorschriften, die das Verständnis der Regelungen erschweren und die gebotene Anwendung eher behindern. Hinzu kommt, dass jede Baustelle ihre Besonderheiten und Eigentümlichkeiten aufweist, die auch mit noch so vielen Vorschriften nicht immer richtig und vollständig erfasst werden können.

 Die rechtlichen Bestimmungen müssen daher - notgedrungen - einen Spielraum zugestehen, der

 von den Beteiligten verantwortungsbewusst und eigenverantwortlich ausgefüllt werden muss. Neben einem entsprechenden Pflichtbewusstsein jedes Einzelnen gehört das Grundverständnis des Regelungssystems zu den unverzichtbaren Voraussetzungen einer sachgerechten Baustellenabsicherung, auf die sich Verkehrsteilnehmer und Beschäftigte gleichermaßen müssen verlassen können.

 

Die Pflicht zur Absicherung einer Baustelle, die sich auf den Straßenverkehr auswirken kann, entspringt der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht. Sie bedeutet die Verpflichtung desjenigen, der eine Gefahrenstelle eröffnet, dafiir Sorge zu tragen, dass niemand zu Schaden kommt. Hierfür muss er alle zur Gefahrenabwehr notwendigen und zumutbaren Sicherungsvorkehrungen treffen. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach  und erleidet ein anderer dadurch einen Schaden, muss er dem Geschädigten Schadensersatz leisten. Je nach Schwere des Schadens und der Pflichtverletzung kann er darüber hinaus auch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Einschlägige Straftatbestände sind z.B. die fahrlässige Körperverletzung oder die fahrlässige Tötung. Die Strafe kann eine Geld- oder eine Freiheitsstrafe sein. Natürlich sind auch arbeitsrechtliche Folgen eines Fehlverhaltens nicht auszuschließen. Zu denken ist hier an Abmahnungen oder sogar an Kündigungen mit all ihren schlimmen finanziellen und sozialen Folgen. Es lohnt sich also, die Sicherungspflichten im Zusammenhang mit der Einrichtung einer Baustelle ernst zu nehmen.

Entscheidende Bedeutung kommt der Frage zu, wer die Verantwortung fiir die richtige Absicherung einer StraßenbausteIle trägt. Die Antwort ist nicht einfach. Das liegt zum einen daran, dass es in der Regel mehrere Beteiligte gibt, angefangen vom Auftraggeber, über den Auftragnehmer mit seinem Bauleiter bis hin zu den Behörden, die die Absicherung in rechtlicher Hinsicht zu verantworten haben; das liegt zum anderen aber auch daran, dass die Verkehrssicherungspflicht nicht einfach weitergereicht werden kann mit der Folge, dass man damit von jeder Verantwortung freikäme. Es entspricht gefestigter Rechtsprechung deutscher Gerichte, dass sich die Verkehrssicherungspflicht des Auftraggebers bei Vergabe der Bauarbeiten an einen Unternehmer in eine Überwachungspflicht umwandelt, deren Missachtung dieselben Rechtsfolgen auslösen kann wie die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht.

Für ein und denselben Schaden können also mehrere nebeneinander verantwortlich sein. Es ist ein Irrglaube, wenn man meint, nur den Bauleiter als letzten in der Kette der Sicherungspflichtigen treffe die Härte der Gesetze. Bei jedem Schadensfall wird genau geprüft, wer seinen Pflichten ordnungsgemäß nachgekommen ist und wer nicht. Eine nachlässige oder völlig unterbliebene Kontrolle der Baustelle durch den Auftraggeber oder den Generalunternehmer kann zur Mithaftung im Schadensfall führen. Das Gesetz spricht hier von Gesamtschuld und gesamtschuldnerischer Haftung. Dabei haftet jeder Schädiger dem Geschädigten auf den vollen Schaden; der Geschädigte kann sich also "seinen" Schuldner aussuchen, der dann seinerseits versuchen muss, von den Mitschädigern die entsprechenden Mithaftungsanteile ersetzt zu bekommen; das ist nicht immer ohne Risiko. Auch die strafrechtliche Verantwortlichkeit ist nicht auf einen "Täter" beschränkt.

Auch die Behörden sind in diese Verantwortungskette mit einbezogen. Das gilt nicht nur für die Straßenbauverwaltung oder die Stadtwerke als Auftraggeber; das gilt in gleicher Weise für die Mitarbeiter/innen der Straßenverkehrsbehörden, der Straßenbaubehörden oder der Polizei. Ihnen obliegt nicht nur die Verpflichtung, korrekte verkehrsrechtliche Anordnungen zu erlassen; sie müssen darüber hinaus auch die richtige Umsetzung ihrer Entscheidung überprüfen und die Baustellen im weiteren Verlauf zumindest stichprobenartig überwachen.

Das gilt selbst an Wochenenden, an Feiertagen oder während der Nacht. Die erwähnten RSA sehen für die behördliche Überprüfung und Überwachung der Arbeitsstellen einen eigenen Abschnitt vor. Die zunehmende Personalnot der öffentlichen Hand birgt hier nicht unerhebliche Risiken für die Mitarbeiter/innen der öffentlichen Verwaltung.

Die öffentlichen Stellen sind also in dreifacher Weise von der Baustellenabsicherung berührt:

  • als Auftraggeber von Bauarbeiten,

  • als anordnende Behörden und

  • als "Kontrolleure".

Bei Verletzung ihrer Pflichten, sei es der Verkehrssicherungspflicht, sei es der Überwachungspflicht oder der Verkehrsregelungspflicht, drohen den Mitarbeitern der Behörden dieselben Folgen wie den Unternehmern und deren Beschäftigten, wenn diese ihren Pflichten, nämlich der Verkehrsicherungspflicht oder der Überwachungspflicht, nicht ordnungsgemäß nachgekommen sind und dadurch einem anderen ein Schaden entstanden ist. Auch wenn wegen der bei uns bestehenden Staatshaftung die Schadensersatzrisiken bei den Bediensteten der Behörden etwas eingegrenzter sind, die strafrechtliche Verantwortung tragen sie gegebenenfalls in gleicher Weise wie die privatwirtschaftlich Beschäftigten.

Vor diesem Hintergrund erscheint es angeraten, sich durch entsprechende Aus- und Fortbildung stets auf dem laufenden zu halten. Hier gibt es von den unterschiedlichsten Organisationen, Institutionen oder Verbänden gute Angebote (z.B. IHK, Verkehrsakademie u.a.).

Wichtig erscheint aber auch, sich bei der Auswahl der beauftragten Unternehmen über deren Kompetenz in Sachen" Absicherung der Baustelle " zu vergewissern. Es ist bedauerlich, dass die RSA zwar vorschreiben, dass die Unternehmer bei Beantragung einer Absicherungsanordnung den Behörden einen "Verantwortlichen" benennen müssen, der während und nach der Arbeitszeit erreichbar ist und der über ausreichende Entscheidungsvollmachten hinsichtlich der  Ab-sicherungsmaßnahmen verfügt; über Anforderungen an seine fachliche Kompetenz schweigen sich die RSA jedoch aus. Diesbezüglich wird in der ZTV – SA eine Aussage über den Verantwortlichen getroffen.

Eine sinnvolle Hilfestellung kann sich auch daraus ergeben, dass für das Gewerk "Verkehrsabsicherung" Spezialfirmen eingesetzt werden, von denen es in Deutschland mittlerweile eine ganze Reihe gibt, die auch in Verbänden zusammengeschlossen sind, wie z.B. im Fachverband Verkehrssicherung an Arbeitsstellen auf Straßen e. V. (FV AS). Diese Firmen richten Arbeitsstellen ein, kontrollieren und warten die Verkehrsabsicherung während der gesamten Bauzeit. Dieser Verband führt seit 1986 Fortbildungsveranstaltungen durch, die sowohl von den Mitgliedsfirmen als auch von Behörden und der übrigen Industrie intensiv genutzt werden. Durch den Einsatz derartiger Fachfirmen entfällt die Verantwortung der Behörden zwar nicht vollständig, der Umfang der Überprüfungs- und Überwachungspflichten lässt sich dadurch aber spürbar verringern.

 

 

Zuletzt sei noch der Hinweis erlaubt, dass auch bei der Ausschreibung insbesondere größerer Baumaßnahrnen spätere Probleme vermieden werden können, wenn die Verkehrsabsicherung schon möglichst genau im Leistungsverzeichnis beschrieben und vorgegeben wird. Eine vorherige Kontaktaufnahme mit der zuständigen Straßenverkehrsbehörde kann hierbei sehr hilfreich sein.

 

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die sachgerechte Absicherung von Arbeitsstellen an Straßen ein koordiniertes und verantwortungsbewusstes Zusammenwirken aller Beteiligten verlangt, bei dem jeder seine Pflichten kennt und ihnen nachkommt. Nur so kann die Sicherheit erreicht werden, die jeder Verkehrsteilnehmer und jeder Baustellenbeschäftigte erwarten darf und auch erwartet. Jeder Tote oder Verletzte ist einer zuviel.